Zwei Friedensnobelpreisträger in Nürtingen – das kommt selten vor. So geschehen im Rahmen der 46. Eine-Welt-Tage und Friedenswochen Nürtingen bei der Veranstaltung des Ortsverbandes von Bündnis 90/Grünen zum Thema „Atomwaffen verbieten – jetzt?!“, bei der alle Gemeinderatsfraktionen auf dem Podium vertreten waren.
Mit dem Rennrad angereist war Roland Blach, der den Einführungsvortrag hielt und deutlich machte, wie das weltumspannende Thema Atomwaffen auch mit Nürtingen zu tun hat. Blach ist Teil der „Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen“, abgekürzt ICAN, die im Jahr 2017 den Friedensnobelpreis erhalten hat. Innerhalb weniger Jahre nach Gründung der Kampagne war es gelungen, die Mehrzahl der Staaten zum Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag zu bewegen. Alles Staaten ohne Atomwaffen, die nicht länger warten wollen, bis sich die Atommächte zum Verzicht entschließen können. Denn schon jetzt, so Blach, stellen sie eine erhebliche Sicherheitsbedrohung dar und es sei ein Glück, dass bisher die Fehlalarme und menschlichen Versagen nicht zu einer Katastrophe geführt hätten. Schon 100 Atombomben würden ausreichen, um den blauen Planeten aus den Fugen zu bringen, ganz zu schweigen von den Ressourcen, die die atomare Bewaffnung heute schon verschlingt: pro Minute etwa 150.000 US-Dollar, so eine Schätzung von 2022.
Zur Kampagne von ICAN zählt auch der Städteappell: „Unsere Stadt ist besorgt über die immense Bedrohung, die Atomwaffen auf der ganzen Welt darstellen. Wir begrüßen den von den Vereinten Nationen verabschiedeten Vertrag zum Verbot von Atomwaffen und fordern die Bundesregierung zu deren Beitritt auf.“ Der Gemeinderat der Stadt Nürtingen hat ihn am 5. Oktober 2021 mit großer Mehrheit verabschiedet. Inzwischen sind es allein in Deutschland vier Bundesländer und 144 Städte und Gemeinden.
Wegen der veränderten Situation wurden die Gemeinderatsfraktionen zu einem öffentlichen gemeinsamen Nachdenken eingeladen: Eine Atommacht, die dem Verbotsvertrag nicht beigetreten ist, Russland, fällt in die Ukraine ein und führt seit mehr als drei Jahren Krieg. Die westliche Gemeinschaft reagiert mit Aufrüstung. Was heißt das für die kommunale Verantwortung?
Die Diskussion auf dem Podium war kontrovers und respektvoll: Thaddäus Kunzmann (CDU) betonte sein Nein zum Städteappell mit dem Hinweis auf Schutz und Abschreckung, die von Atomwaffen ausgehen und fragte nach den Alternativen. Martin Häberle (Nürtinger Liste/Grüne), seit über 40 Jahren Mitglied auch der Ärzt:innen gegen den Atomkrieg (IPPNW – Friedensnobelpreis 1985), warnte vor der Unausweichlichkeit von Kriegsverbrechen, wenn weiterhin Atomwaffen Mittel der Abschreckung seien. Raimund Braun (NT 14) richtete den Blick auf die Verantwortung für die kommenden Generationen. Dr. Michael Brodbeck (Freie Wähler) unterstrich sein vorbehaltloses Ja zum Städteappell mit der Einschränkung, ob Verträge im Ernstfall eine Bedeutung hätten. Roland Blach (ICAN) sprach von Zuversicht im Auf und Ab der politischen Entwicklungen, hatte doch die Bundespolitik im Jahr 2010 schon einmal formuliert: „Eine Welt frei von Atomwaffen ist keine Utopie, sondern eine konkrete Verpflichtung.“
Wie geht es in Nürtingen weiter? Bei aller Unterschiedlichkeit war klar, am Städteappell wird nicht gerüttelt, im Gegenteil, Bärbel Kehl-Maurer (SPD) versprach, das Gespräch mit dem parlamentarischen Staatssekretär im Verteidigungsministerium zu suchen. Mit dem Begriff „kriegstüchtig“ war niemand auf dem Podium einverstanden. Angerissen wurden die Bedeutung des Bevölkerungsschutzes, einer Wehrhaftigkeit, die Stärkung der internationalen Ebene der Verträge und eines guten Zusammenhaltes in der Kommune. Bei den Eine-Welt-Tagen und den Friedenswochen gibt es mit dem Zukunftstalk im Gok’schen Keller einen unmittelbaren Anschluss ans Thema: Oberbürgermeister Dr. Johannes Fridrich, Mitglied der Mayors for Peace, widmet sich am 25. November, 19.00 Uhr, mit weiteren Gesprächsteilnehmenden, der Kultur des Friedens kommunal.
Ein gesonderter Dank geht an Hildegard Biermann-Mannsfeld, Michael Jäger und Nikolaus Fischer-Romer, die die Veranstaltung vorbereitet haben.